Trotz der Tatsache, dass Sachverständige und ihre Expertise entscheidende Bedeutung in Rechtsstrei- tigkeiten haben, existieren keine gemeinsamen europaweiten Definitionen im Sachverständigen- wesen. Im Folgenden wurden dann gut eineinhalb Jahre vorhandene Quellen, insbesondere aus dem Vor- projekt Findex I gesichtet, der Status Quo in den teilnehmenden Ländern über Fragebögen erho- ben und ausgewertet. Nachdem jeder der Arbeitspakete und Gruppen ihre Arbeit in sogenannten Deliverables festgehal- ten hatten, fand am 2. Juni 2023 am Oberlandes- gericht Köln die Konsensuskonferenz statt. Hierfür wurde eine zehnköpfige internationale Jury be- rufen, die unter dem Vorsitz von Dr. Kathrin Seidel (Vorsitzende Richterin am LG Kiel) und Guido Alpa (Präsident der italienischen Rechtsanwaltskammer) die vorgelegten Arbeitsergebnisse kommentieren und abnehmen wird. Am Folgetag kam die Jury dann zusammen, um die Arbeitsergebnisse erstmalig zu diskutieren. Schließlich muss noch eine finale Abnahme der Ergebnisse durch die für das Projekt zuständigen Referenten der EU-Kommission erfolgen. Insge- samt ist davon auszugehen, dass Findex II die Ver- bändewelt im Sachverständigenwesen noch eine ganze Weile beschäftigen wird. Für alle Beteiligten war es jedoch motivierend, im Rahmen der Kölner Konferenz über die Arbeit der letzten Monate zu reflektieren und direkt in den Austausch mit ande- ren Gruppen eintreten zu können. Alle waren sich einig, dass sich in diesem Projekt die einmalige Chance bietet, die rechtlichen und faktischen Voraussetzungen für Gerichtssachver- ständige zukünftig europaweit einheitlich gestal- ten zu können. Zwar haben das Projekt und seine Teilnehmer:innen selbstverständlich keinerlei Gesetzgebungskompetenz, doch es ist sehr stark davon auszugehen, dass es, ähnlich wie bei An- wälten, in der Zukunft definitiv ein überall verfüg- bares Suchregister für gerichtlich tätige Sachver- ständige geben wird. Hier sollte dringend die Gelegenheit genutzt werden, dabei so früh wie möglich gestaltend einzugreifen und sicher zu stellen, dass im Sinne einer fairen und verlässlichen Justiz europaweit hohe Mindestanforderungen für Gerichtssach- verständige geschaffen werden. Dies ist umso unverständlicher, als dass grenz- überschreitende Sachverständigentätigkeit in der Justiz keine Seltenheit mehr ist. Da liegt es nahe, dass für Sachverständige europaweit Minimalkrite- rien wie Unabhängigkeit, Unparteilichkeit, Rechts- streitigkeiten und hohe fachliche Kompetenz gel- ten müssen. Denn das Vertrauen der EU-Bürger in ihre jeweiligen Rechtsordnungen und das Prinzip von fairen Verfahren muss auch international zwingend erhalten bleiben. Um diese Lücke zu schließen, wollen EuroExpert, unter Beteiligung des BVS e.V. und das französi- schen European Expertise and Expert Institute an gemeinsamen Definitionen für gerichtlich tätige Sachverständigen arbeiten. Nachdem ein dies- bezügliches Projekt bei der EU-Kommission vor- gelegt werden konnte, wurde es im Oktober 2021 zur Kofinanzierung angenommen. Diese wird von März 2022 bis Februar 2024 erfolgen. Das Projekt Findex II wurde in sechs Arbeitspakete aufgeteilt, die sich jeweils mit relevanten Frage- stellungen befassen. Es wurden Minimalkriterien für gerichtlich tätige Sachverständige festgehalten, die insbesondere fachliche Kompetenz, Wissen über verfahrens- rechtliche Abläufe und ethische Aspekte ab- decken. Ferner wurde eine Liste von Standards erarbeitet, die die jeweiligen Zulassungskörper- schaften „abhaken“ müssen, um in den Mitglieds- staaten Sachverständige in ihre Verzeichnisse aufnehmen zu können. Ein weiteres Arbeitspaket beschäftigte sich mit der gemeinsamen Nomen- klatur in der EU. Am Ende des Projektes soll dann die Demoversion einer digitalen Datenbank ent- stehen, mit der, zunächst für die „Pilot Countries“ des Projektes (Belgien, Frankreich, Luxemburg, Italien, Polen und Rumänien) Sachverständige nach Sachgebieten auffindbar sind. Dafür soll auf bestehende nationale Datenbanken zurückge- griffen werden. Der BVS e.V. war für das Projekt in zwei Arbeits- gruppen des ersten Arbeitspakets, insbesondere in der Frage der „Definitionen“ tätig. Im Frühjahr 2022 fand ein „kick off“ Meeting in Brüssel statt, bei dem sich die Teilnehmer:innen kennenlernten und die Arbeitsgruppen zusammenfanden. 11